Traditionelle Sommerflaute
Die Sommermonate sind in der Regel keine stürmische Zeit auf dem Goldmarkt. Rein saisonal betrachtet gehören zumindest Juni und Juli zu den schwächsten Goldmonaten des Jahres. Der aktuelle Monat Juni rangiert bei dieser Goldpreis-Betrachtung sogar im Tabellenkeller:
Früher erreichte die Goldnachfrage oft auf dem Höhepunkt der indischen Hochzeits- und Festivalsaison im Frühjahr ihren Peak. Allerdings haben sich die Zeiten gewandelt und das gleich zweimal.
Während vor der großen Finanzkrise im Jahr 2008 tatsächlich vor allem die physische Nachfrage den Goldpreis antrieb, erlangte in den Jahren danach die Spekulation mit Papiergold immer größere Bedeutung. Dabei spielten die amerikanischen Großbanken eine gewichtige Rolle. Insbesondere in der Phase bis 2015 florierte deren Geschäft mit fallenden Gold- und Silber-Preisen. Mittlerweile wurden zahlreiche Bankenvertreter der Kursmanipulation in diesem Zeitraum überführt (siehe z.B. Gold-Manipulation: Erneuter Fall bestätigt).
Veränderung des Goldmarktes
Mit dem Ausbruch der Corona-Krise im Jahr 2020 haben wir eine erneute Zeitenwende erlebt. Seither spielt die physische Nachfrage wieder eine entscheidende Rolle in der Goldpreis-Bildung. Zunächst waren es die durch Lockdowns abgeschnittenen Lieferwege, die das Bewusstsein für physisches Gold und dessen unmittelbaren Besitz rejustierten. Und heute steht China im Mittelpunkt des physischen Goldbooms, sowie eine ganze Reihe von Zentralbanken, die ihre Währungsreserven zu Gunsten des Edelmetalls und zu Lasten des US-Dollars diversifizieren.
Das wirkt sich auch deshalb auf den internationalen Goldpreis aus, weil China den heimischen Goldmarkt sukzessive für das Ausland öffnete und die Kursaufschläge in Shanghai nun westliches Gold anlocken wie das Licht die Motten. Zuletzt lag der Abstand zwischen dem westlichen Goldpreis (FOREX, COMEX) und dem SGE-Kurs (Shanghai Gold Exchange) bei umgerechnet bis zu 90 US-Dollar. Arbitrage-Geschäfte führen dann zu einer gewissen Preisangleichung auf dem internationalen Goldmarkt. Dabei wandert physisches Gold in großen Mengen von westlichen Tresoren in die asiatischen Metropolen. Und für diese Systematik gibt es weitere aktuelle Hinweise.
Aktuelle Entwicklungen
So sind die Anträge auf physische Lieferung im US-Futures-Handel Anfang Juni förmlich explodiert. Innerhalb von nur drei Tagen nach dem Übergang zum neuen Liefermonat erhielt der COMEX-Betreiber 27.481 „delivery notices“. Im gesamten Vormonat waren es lediglich 2.750.
Wohin wird dieses Gold wohl geliefert? Mit großer Wahrscheinlichkeit dahin, wo es den höchsten Marktpreis erzielt. Weitere Informationen dazu enthält die US-Außenhandelsstatistik. So meldet der U.S. Geological Survey (USGS) im Zeitraum von Januar bis März US-Goldexporte im Umfang von 109 Tonnen (davon 85 Prozent raffinierte Goldbarren). Zum Vergleich: Im Gesamtjahr 2023 waren es 257 Tonnen.
Größter Abnehmer in der Regel: Die Schweiz, wo bis zu zwei Drittel des weltweit nachgefragten Goldes aufbereitet und größtenteils nach Fernost weiterverschifft wird. Diese Zahlen findet man wiederum in der Außenhandelsstatistik der Schweiz.
Und solange die fernöstliche Goldnachfrage und Zahlungsbereitschaft so außerordentlich hoch bleiben, wird dieser Einflussfaktor den Goldpreis weiter dominieren.
US-Banken begehren auf
In meinem Beitrag vom 15. Mai bin ich bereits auf diesen Aspekt eingegangen (Goldpreis: Wer übernimmt jetzt die Kontrolle?). Auch darauf, wie sich die Bedeutung weiterer, ehemals wichtiger Goldpreis-Determinanten verändert hat.
Dass kapitalstarke US-Goldhändler zuletzt immer wieder versuchten, wieder stärkeren Einfluss zu nehmen, legen auch auffällige Kursdaten von der COMEX nahe. Denn Kurseinbrüche sahen wir in den vergangenen Wochen häufig zu Zeiten, in denen die chinesischen Märkte geschlossen hatten. In New York laufen die Uhren aktuell 12 Stunden hinter Shanghai her. Und die folgende Grafik zeigt, dass sich in den vergangenen vierzehn Tagen immer wieder gegen 10 Uhr New Yorker Zeit (22 Uhr in Shanghai) unter teils hohem Volumen kräftige Goldpreis-Rücksetzer im US-Futures-Handel ereigneten (rote Pfeile).
Ausblick
Doch zurück zum Juni. Werfen wir einen Blick auf die allgemeinen, kurzfristigen Einflussfaktoren. Während die Europäische Zentralbank schon im Vorfeld eine Zinssenkung in der jüngsten Sitzung um 25 Basispunkte signalisierte, wartet die Fed weiterhin ab. Am 12. Juni trifft sich der US-Offenmarktausschuss zur nächsten geldpolitischen Sitzung. Aber frühestens im September wird an den Märkten mit einem Zinsschritt gerechnet, eher noch später. Denn US-Terminhändler ordnen dem November die größte Chance auf dieses Ereignis zu. Am Dienstag wurde die Wahrscheinlichkeit dafür mit 78,9 Prozent beziffert – gegenüber 66 Prozent für einen Zinsschritt bereits im September.
Neu hereinkommende Wirtschaftsdaten können die daran geknüpften Zinserwartungen kurzfristig immer wieder verändern. Die vergangenen Monate haben allerdings gezeigt, dass der Goldpreis sich angesichts der eingangs geschilderten Zusammenhänge immer wieder resistent zeigte gegenüber negativen Zinseinflüssen. So rechnete man im vergangenen Dezember an den Märkten noch mit sechs Zinssenkungen im Jahr 2024. Von dieser optimistischen Einschätzung ist nicht mehr viel übriggeblieben. Dennoch hangelte sich der Goldpreis von Rekordhoch zu Rekordhoch.
Charttechnik
Wenn andere fundamentale Einflussfaktoren eine untergeordnete Rolle spielen, dann nimmt die Bedeutung technischer Faktoren in der kurzfristigen Goldpreis-Entwicklung zu. Und hier sehen wir, dass Gold vor allem oberhalb von 2.300 US-Dollar und bereits im Bereich von 2.230 US-Dollar eine solide Unterstützung gefunden hat. Das ist eine geeignete Grundlage für die nächste Rekordrally – vielleicht nach den entspannten Sommermonaten.