Warum der Preisschock an der Kasse oft schlimmer ist als die offiziellen Zahlen
Der Monat Oktober begann mit einer erfreulichen Nachricht: Die Inflation ist in Deutschland unter den Zielwert der EZB von zwei Prozent gerutscht und liegt aktuell bei 1,6 Prozent. Und auch in Österreich lag sie laut der Statistik Austria zuletzt bei nur mehr 1,8 Prozent. Doch die Freude währte nur kurz: Als ich in der Mittagspause mein angestammtes Curry-Menü bestellte, zeigte die Kasse nicht wie sonst 11,45 Euro an, sondern 12,95. “Oh, sorry, neue Preise zum neuen Monat”, sagte der Kassierer. Das bedeutet eine Preissteigerung von 13,1 Prozent. Kurz zuvor las ich, dass das 49-Euro-Ticket ab dem neuen Jahr 58 Euro kosten soll – eine Erhöhung um 18,37 Prozent. Und damit nicht genug: Das Briefporto soll von 0,85 Euro voraussichtlich auf 1,00 Euro erhöht werden, was eine Steigerung von 17,65 Prozent bedeuten würde. Wie passen diese drei Werte mit der angeblich so niedrigen Inflation zusammen?
Während die offiziellen Zahlen der EZB augenblicklich Erleichterung versprechen, sieht die Realität für viele Menschen anders aus. Das, was sie an der Supermarktkasse, beim Tanken oder beim Buchen ihres Urlaubs spüren, fühlt sich nach deutlich mehr als 1,6 Prozent an. Der Unterschied zwischen der „offiziellen“ und der „gefühlten“ Inflation wird immer deutlicher – und hat nachvollziehbare Gründe.
Offizielle Inflation: Wie sie berechnet wird
Die Inflationsrate wird von Statistikbehörden wie dem Statistischen Bundesamt und der Statistik Austria auf Grundlage eines sogenannten Warenkorbs ermittelt. In Deutschland enthält dieser Warenkorb über 700 Güter und Dienstleistungen, die den durchschnittlichen Konsum der Bevölkerung widerspiegeln sollen. Dazu gehören Lebensmittel, Mieten, Kleidung, Freizeitaktivitäten, aber auch Dienstleistungen wie Friseur- oder Versicherungsleistungen. Die Preise dieser Güter werden regelmäßig erhoben, und auf Basis der Preisveränderungen berechnet sich die Inflation.
Die Herausforderung: Nicht jeder kauft oder konsumiert diese Güter und Dienstleistungen im selben Verhältnis. So hat zum Beispiel jemand, der zur Miete wohnt, einen anderen Kostenfaktor als eine Person, die eine Eigentumswohnung besitzt. Oder: Wer viel Auto fährt, ist stärker von steigenden Spritpreisen betroffen als jemand, der ausschließlich mit dem Fahrrad unterwegs ist. Der „offizielle“ Warenkorb spiegelt also nicht die individuellen Ausgabenmuster aller Menschen wider.
Der Abstand zur Realität vieler Menschen
Für viele Verbraucher fühlt sich die Inflation oft deutlich höher an als die offiziellen Werte es darstellen. Das hat mehrere Ursachen. Zum einen gibt es psychologische Effekte: Menschen nehmen Preisanstiege bei Produkten, die sie regelmäßig kaufen – wie Lebensmittel oder Benzin – stärker wahr als Preissenkungen bei Gütern, die sie seltener konsumieren. Wenn das Curry-Menü, das man wöchentlich in der Mittagspause isst, plötzlich 13 Prozent teurer wird oder das 49-Euro-Ticket um 18 Prozent steigt, ist das ein Preisschock, der lange nachwirkt – für diejenigen, die nur eine Nahrungsmittelquelle vor dem Büro haben und mit der Bahn zur Arbeit kommen.
Zum anderen weichen die persönlichen Ausgabenstrukturen oft deutlich vom durchschnittlichen Warenkorb ab. Familien mit kleinen Kindern haben beispielsweise hohe Ausgaben für Lebensmittel, Kleidung und Freizeitaktivitäten. Senioren hingegen sind eher von steigenden Gesundheitskosten betroffen. Diese Unterschiede machen deutlich, dass die „gefühlte“ Inflation individuell sehr unterschiedlich ausfallen kann. Während die offizielle Inflationsrate den Durchschnitt der Gesellschaft abbildet, können einzelne Haushalte Preisanstiege von fünf Prozent und mehr spüren – oder in seltenen Fällen auch weniger.
Der Warenkorb: Weit weg von der Lebensrealität?
Ein weiterer Grund für die Differenz zwischen offizieller und gefühlter Inflation liegt in der Zusammensetzung des Warenkorbs. Während statistisch gesehen Mieten und Energiekosten große Posten ausmachen, sind andere Alltagsausgaben, die für viele Menschen stark ins Gewicht fallen, weniger prominent vertreten. Digitale Dienstleistungen wie Streaming-Abos oder Essenslieferungen, die in den letzten Jahren für viele fester Bestandteil des Alltags geworden sind, sind im Vergleich zu klassischen Posten noch unterrepräsentiert. Dazu kommt, dass sich der Lebensstandard und Konsumgewohnheiten schnell ändern können, der Warenkorb jedoch nur alle fünf Jahre angepasst wird.
Jeder spürt die Inflation anders
Die Inflation ist also eine Frage der Perspektive. Der offiziell gemessene Wert gibt eine Orientierung, wie sich das Preisniveau insgesamt entwickelt, trifft aber nicht zwangsläufig die Lebensrealität aller. Besonders Haushalte mit geringem Einkommen oder spezifischen Konsummustern erleben Preissteigerungen oft intensiver, weil sie einen größeren Teil ihres Einkommens für Grundbedürfnisse wie Wohnen, Lebensmittel oder Energie ausgeben.
Während die Inflation für den Durchschnittshaushalt bei 1,6 Prozent liegen mag, kann sie für jemanden, der oft Auto fährt und regelmäßig auswärts isst, deutlich höher ausfallen. Umso wichtiger ist es, dass die Debatte um Inflation differenziert geführt wird – denn die „gefühlte“ Inflation ist oft das, was für den Einzelnen wirklich zählt. Allerdings werde ich die gefühlte Inflation mal wieder ignorieren müssen, wenn ich mir demnächst ein einfaches Butterbrot schmiere. Denn während die offizielle Inflationsrate für Lebensmittel sogar unter der Gesamtinflation liegt, nämlich bei 1,5 Prozent, ist Butter im Herbst 2024 so teuer wie nie zuvor in der bundesdeutschen Geschichte – also alles in Butter mit der Inflation? Wohl kaum!