Hat China die Party schon wieder verlassen?
Im Frühjahr 2024 schien China als Treiber des Goldpreisanstiegs ausgemacht, doch neue Erkenntnisse stellen dieses Narrativ infrage. Ein Bericht des World Gold Council zeigt, dass geopolitische Spannungen und sinkende US-Renditen eine größere Rolle spielen als Chinas Goldkäufe.
Als der Goldpreis im Frühjahr den Turbo einlegte und fast täglich neue Rekordhochs markiere, war die Ursache für diese Preis-Explosion schnell ausgemacht: Käufe der Zentralbank und der Mittelschicht in China sollen dazu geführt haben, dass der Goldpreis jegliche Ketten gesprengt hat und seitdem nur noch eine Richtung kennt: Nach oben! Auf den ersten Blick ist diese Geschichte auch leicht nachvollziehbar: Man stelle sich vor, was passiert, wenn sich eine Milliarden-Nation auf den Weg macht, ihr Geld mit Gold zu schützen.
Die chinesische Mittelschicht stürzt sich auf Gold – Fakt oder Fiktion?
Gründe für einen Vermögensschutz gibt es in China genug, beispielsweise den instabilen Immobilienmarkt. So hat beispielsweise Jan Nieuwenhuijs, Analyst bei dem US-amerikanischen Edelmetallhändler „Gainesville Coins“, im März 2024 getitelt: „China hat die Kontrolle über den Goldpreis vom Westen übernommen.“ Er rechnete vor, dass China im Jahr 2023 offiziell 735 Tonnen Gold gekauft habe, zwei Drittel davon verdeckt. Dazu kämen sagenhafte 1.411 Tonnen aus dem Privatsektor. Und wenn die Mittelschicht in China doppelt so viel Gold kauft wie die mächtige Zentralbank, dann kann der Goldpreis doch eigentlich nur steigen.
In den letzten Monaten wurden jedoch zunehmend Zweifel an diesem Narrativ laut, als China plötzlich die offiziellen Goldkäufe einstellte – und zuletzt wurden auch keine Importe über die Schweiz mehr gemeldet. Inzwischen hält die People’s Bank of China in diesem Jahr bereits zum fünften Mal in Folge die Füße still und hat keine Goldkäufe getätigt. Was ist da los? Haben die Chinesen genug Gold? Ist ihnen das gelbe Metall zu teuer geworden? Oder hat die PBOC festgestellt, dass sie tatsächlich gar keine Macht über den Goldpreis hat?
World Gold Council liefert neue Fakten zum Goldmarkt in China
Ein neuer Bericht des World Gold Council (WGC) lässt den Schluss zu, dass der Schlüssel für den Gold-Boom des Jahres 2024 wohl kaum in China versteckt ist. Denn während die Preise für Gold weiter anstiegen und die Gold-ETFs positive Zuflüsse verzeichneten, gingen sowohl die Goldimporte als auch die Handelsvolumina der Futures an der sagenumwobenen Shanghai Futures Exchange kontinuierlich. , die den chinesischen Goldmarkt in diesem Monat prägten. Zuletzt gab es auch China fast nur Hiobsbotschaften für den Goldpreis – die allerdings auf dem Goldmarkt kaum Beachtung fanden:
- Aus den Zahlen des World Gold Council geht hervor, dass die Nachfrage in China aus dem Schmucksektor im Jahresvergleich um 32 Prozent zurückgegangen ist. Die hohen Goldpreise und das nachlassende Wirtschaftswachstum belasteten den Konsum von Goldschmuck, so der Bericht des WGC.
- Und noch viel wichtiger aus Investment-Sicht: Auch die Nachfrage nach Barren und Münzen ging im September stark zurück, da Anleger durch die Unsicherheit über die zukünftige Preisentwicklung des Goldes und die Stärke konkurrierender Anlagen, insbesondere Aktien, verunsichert waren. Die jüngsten wirtschaftlichen Stimulusmaßnahmen der chinesischen Regierung gaben den Aktienmärkten einen Schub, der sich negativ auf die Goldnachfrage auswirkte. Laut dem WGC könnte die Investitionsnachfrage aufgrund des zunehmenden Risikoverhaltens der Anleger weiter abflachen.
- Trotz einer zuletzt positiven Entwicklung im September verzeichneten die chinesischen Gold-ETFs im dritten Quartal Nettoabflüsse von rund 74 Millionen US-Dollar, die durch moderate Zuflüsse in den Vormonaten nicht ausgeglichen werden konnten. Das Handelsvolumen von Gold-Futures an der Shanghai Futures Exchange sank im September um 25 Prozent im Vergleich zum August.
- Die Goldimporte nach China fielen im August fast auf null. Trotz einer leichten Erholung der Nachfrage sank der Nettoimport auf nur noch 10 Tonnen, was den niedrigsten Wert seit Februar 2021 darstellt. Der Bericht des WGC erklärt dies mit einem Preisnachlass auf dem lokalen Goldmarkt und einer weiterhin schwachen Goldnachfrage.
- Schließlich verzeichnete die chinesische Zentralbank im September zum fünften Monat in Folge keine weiteren Goldkäufe. Dennoch stieg der Anteil des Goldes an den Devisenreserven aufgrund des Wertzuwachses des Goldpreises auf 5,4 Prozent – möglicherweise ist diese Allokation für die People’s Bank of China ausreichend, sodass keine weiteren Käufe nötig sind. Insgesamt belaufen sich Chinas Goldkäufe im Jahr 2024 auf 290 Tonnen, die allesamt in den ersten vier Monaten des Jahres getätigt wurden.
Der World Gold Council misst dem Faktor „China“ bei der Erklärung der gegenwärtigen Gold-Stärke unterm Strich eine untergeordnete Rolle zu. Sinkende Renditen von US-Staatsanleihen, die Abschwächung des Dollars aufgrund einer unerwarteten Zinssenkung der US-Notenbank und zunehmende geopolitische Spannungen im Nahen Osten seien vielmehr die treibenden Kräfte hinter dem Gold-Boom. Der World Gold Council weist zudem darauf hin, dass der Goldpreis zuletzt in China in der Landeswährung nur begrenzte Zuwächse erzielt hat, da der Renminbi durch die Dollar-Schwäche und eine verbesserte chinesische Wirtschaftsaussicht aufgewertet wurde.
Wer hat auf dem Gold-Markt wirklich die Hosen an?
Auf der Suche nach der Ursache für den Gold-Boom des Jahres sollten sich Anleger also nicht zu sehr von den fantastischen Geschichten aus China leiten lassen, wonach es vor allem junge und dynamische Privatanleger gewesen sein sollen, die per Smartphone-App oder mithilfe von kleinen Gold-Bohnen („gold beans“, die ein Investment für kleines Geld möglich machen sollten) ihre finanzielle Zukunft in die eigene Hand genommen haben. Womöglich waren es am Ende des Tages „nur“ westliche Hedgefonds, die Gold als Vehikel entdeckt haben – und die mit der Zinswende, der US-Wahl und den vielen geopolitischen Krisenherden weiterhin gute Gründe haben, dem gelben Metall (oder seiner virtuellen Derivate) treu zu bleiben.